Vier Jahre und fünf Monate. So lange habe ich meine Tochter gestillt. Eine Zahl, die ich nicht jedem auf die Nase binde. Schließlich entspreche ich damit nicht der Norm. Ich weiß, dass Langzeitstillen für viele Menschen in unserem Kulturkreis befremdlich ist. Stillen ja – aber bitte nur das kleine hilflose Baby und nicht ein Kind, das schon sprechen und Dreirad fahren kann.
Das kann ich sogar ein wenig verstehen. Bevor ich Mama wurde, hätte ich nie gedacht, dass ich mein Kind so lange stillen würde. Es ist einfach passiert. Und doch war es für uns der absolut richtige Weg.
Stillen ist ein emotional sehr aufgeladenes Thema. Darum möchte ich hier einmal ganz rational auf die Statistiken und Studienlage eingehen: Wie lange werden Kinder in Deutschland gestillt? Was sind die Vorteile des Langzeitstillens? Und wie kannst du mit Vorurteilen und Druck von außen am besten umgehen?
Langzeitstillen: das Wichtigste in Kürze
- Die meisten Kinder werden in Deutschland innerhalb des ersten Lebensjahres abgestillt.
- Der Begriff Langzeitstillen ist nicht klar definiert. Er wird häufig für Stilldauern von mehr als einem oder zwei Jahren verwendet.
- Langes Stillen bringt viele Vorteile für die gesunde Entwicklung des Kindes und auch die Gesundheit der Mutter mit sich.
- Dennoch gibt es hierzulande viele Vorbehalte, was Langzeitstillen angeht.
- Versuche, auf deinen Instinkt zu hören. Du darfst dein Kind so lange stillen, wie es sich für euch beide richtig anfühlt.
Wie lange werden Kinder in Deutschland gestillt?
Lass uns einmal anschauen, was die Statistiken sagen: Wie lange stillen Frauen ihre Kinder hierzulande im Durchschnitt? Eine Studie des Robert Koch Instituts kam zu folgendem Ergebnis:
Und wie sieht es danach aus? Repräsentative Daten zur Stillhäufigkeit nach dem zweiten Geburtstag liegen derzeit nicht vor.
Der DONALD-Studie aus Dortmund zufolge stillen nur 2,3 % aller Frauen ihre Kinder länger als 24 Monate. Dabei könnten die tatsächlichen Zahlen sogar noch niedriger liegen.
Was versteht man unter Langzeitstillen?
Eine genaue Definition, was unter Langzeitstillen verstanden wird, gibt es nicht. Es ist sehr subjektiv, ab wann die Stillzeit als „lang“ empfunden wird. Oftmals wird der Begriff bei einer Stilldauer ab einem Jahr verwendet. In der Fachliteratur wird manchmal auch erst ab dem 2. oder 3. Geburtstag davon gesprochen.
Der Begriff „Langzeitstillen“ an sich ist etwas unpassend. Impliziert er doch, dass eine Stilldauer von mehr als einem Jahr außerhalb der Norm liegt.
Klar, bei uns in Mitteleuropa ist das heutzutage tatsächlich so. In anderen Kulturkreisen ist es aber ganz normal, sein Kind 2 Jahre oder länger zu stillen.
Dabei möchte ich betonen: Es ist völlig in Ordnung, wenn du dein Baby gar nicht oder nur ganz kurz stillst. Das ist deine ganz individuelle Entscheidung. Es geht mir nur darum, eine „verlängerte“ Stilldauer als das anzusehen, was es ist: das Natürlichste der Welt.
Was sind die Vorteile einer langen Stillzeit?
Gesunde Ernährung des Kindes
Im ersten halben Lebensjahr bietet Muttermilch deinem Baby alle Nährstoffe, die es benötigt. Nach der Einführung der Beikost tust du deinem Kind etwas Gutes, wenn du es weiterhin stillst. Schließlich soll Milch bei Kindern bis zu einem Jahr die Hauptnahrung sein.
Auch danach liefert die Muttermilch deinem Sprössling noch wertvolle Nährstoffe. Unter anderem gilt die Zusammensetzung der Muttermilch als ideal für die Gehirnentwicklung des Kindes.
So empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Kinder bis zu einem halben Jahr ausschließlich zu stillen. Danach ist es ratsam, das Kind bis zu seinem zweiten Geburtstag oder darüber hinaus weiter zu stillen.
Ich fand es immer sehr beruhigend zu wissen, dass meine Tochter neben dem, was sie an fester Nahrung zu sich nahm, auch noch Muttermilch bekam. Das galt vor allem in Krankheitsphasen, in denen sie wenig Appetit zeigte.
Muttermilch – ein Booster für das Immunsystem
Muttermilch liefert dem Kind weit mehr als nur Nahrung. Mit jedem Schluck nimmt dein Schatz unzählige wertvolle Abwehrstoffe auf. Wusstest du, dass die Muttermilch im zweiten Jahr des Stillens sogar eine höhere Konzentration bestimmter Antikörper enthält als noch im ersten?
Da das Immunsystem eines Kindes erst mit etwa 5 bis 7 Jahren ausgereift ist, bietet das Stillen auch über das Babyalter hinaus einen immunologischen Vorteil.
Studien zufolge haben Kinder, die länger als sechs Monate gestillt werden, beispielsweise ein geringeres Risiko, bestimmte Krankheiten wie Mittelohrentzündung oder Leukämie zu entwickeln.
Auch bietet das Langzeitstillen einen gewissen Schutz vor Allergien.
Ich persönlich bin überzeugt, dass meine Tochter von dem lange Stillen profitiert hat. So litt sie beispielsweise noch nie unter einer Infektion des Magen-Darm-Trakts. Und das, obwohl wir in Mexiko leben und sich der hygienische Standard hier nicht immer mit dem in Mitteleuropa vergleichen lässt.
Lesetipp:
Sanftes Abstillen – Für ein liebevolles Ende der Stillbeziehung
Für viele Mamas gibt es kaum etwas Innigeres, als ihr Baby zu stillen. Es fühlt sich einfach kuschelig, vertraut, ja magisch an. Auch für das Kind ist das Trinken an der Brust viel mehr als nur Nahrungsaufnahme. Mamas Brust spendet Geborgenheit, Wärme und Liebe. Und doch kommt irgendwann der Moment, […]
Gesundheit der Mutter
Nicht nur für dein Kind, auch für die Mutter bringt das lange Stillen eine Reihe gesundheitlicher Vorteile mit sich. Durch das Stillen verringert sich unter anderem das Risiko für:
- Brustkrebs
- Eierstockkrebs
- Diabetes mellitus Typ 2
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Herzinfarkt
- Osteoporose
- Rheumatoide Arthritis
Und dabei gilt: Je länger die Stillzeit, umso ausgeprägter ist die Schutzwirkung.
Vorurteile rund um das Langzeitstillen
Ein Kindergartenkind noch zu stillen, gilt in unserem Kulturkreis als nicht normal. Dies führt schnell zu Unsicherheiten. Viele Frauen, die ihr Kind in diesem Alter noch die Brust geben, tun dies darum eher hinter verschlossenen Türen und meiden es, in der Öffentlichkeit zu stillen.
Was eigentlich die natürlichste Sache der Welt sein sollte, ist leider mit vielen Vorurteilen behaftet. Hierzu gehören unter anderem folgende Beispiele:
Hinzu kommt das Problem, dass die weibliche Brust in unserer Gesellschaft stark sexualisiert wird. Viele Menschen finden es demnach unangebracht oder gar eklig, wenn eine Frau ihr Kind im Restaurant stillt.
Auch ich durfte mir Kommentare anhören, dass ich meine Tochter zu sehr verwöhne und dass sie im Kindergarten ausgelacht wird, wenn die anderen Kinder erfahren, dass sie noch in den Schlaf gestillt wird.
Für die meisten gestillten Kinder ist das Stillen aber etwas so Alltägliches, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, anderen davon zu erzählen.
Wie du mit Druck von außen umgehst
Wie du siehst, bekommen langzeitstillende Mütter jede Menge Gegenwind aus ihrer Umgebung zu spüren. Es braucht einiges an Selbstvertrauen, um sich dadurch nicht verunsichern zu lassen. Diese Tipps können dir dabei helfen:
- Suche Gleichgesinnte: Mir half es sehr, dass einige meiner besten Freundinnen ihr Kind ebenfalls sehr lange gestillt haben. Falls du niemanden kennst, dann schaue dich nach Stillgruppen oder in den sozialen Netzwerken um. Auch das Lesen von Fachliteratur kann dich bestärken.
- Stille nur dort, wo du dich wohlfühlst: Dir ist es unangenehm, dein Kind in der Öffentlichkeit zu stillen? Dann vereinbare mit ihm, dass ihr nur noch zu Hause stillt. Einem größeren Kind kann man dies gut erklären.
- Verwendet Code-Wörter: Dein Kind möchte an die Brust, aber das sollen nicht alle mitbekommen? Dann erfindet ein Wort für das Stillen, das nur ihr versteht.
- Hole deinen Partner ins Boot: Der wichtigste Unterstützer für die meisten stillenden Frauen ist der eigene Partner. Wenn ihr euch einig seid, dass ihr eurem Kind mit dem langen Stillen etwas Gutes tut, ist dies unglaublich viel wert. Es hilft, wenn ihr euch viel über das Thema austauscht und dein Partner auch ein wenig in einem guten Stillbuch schmökert.
Die Stilldauer – eine ganz persönliche Entscheidung
Abschließend möchte ich dir ans Herz legen: Es gibt nicht den einen richtigen Weg, sein Kind bedürfnisorientiert zu ernähren.
Jede Mama, jedes Kind, jede Familie ist einzigartig. So individuell wie ihr, darf auch eure Stillbeziehung sein. Höre auf deinen Instinkt und finde den Weg, der sich für dich und deine Familie gut anfühlt.
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- Robert Koch Institut: Brettschneider AK, von der Lippe E, & Lange C (2018) Stillverhalten in Deutschland – Neues aus KiGGS Welle 2. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 61(8): 920-925., abgerufen am 09.03.2023
- Pubmed: Foterek K, Hilbig A, Alexy U (2014) Breast-feeding and weaning practices in the DONALD study: Age and time trends. JPGN 58:361-367., abgerufen am 09.03.2023
- Pubmed: Nelson EAS, Schiefenhoevel W, & Haimerl F (2000) Child care practices in nonindustrialized societies. Pediatrics, 105: e75., abgerufen am 09.03.2023
- Still-Lexikon – Infoportal rund ums Stillen: Forschungsdaten: Was ist “Langzeitstillen” und wie häufig kommt es vor?, abgerufen am 09.03.2023
- Still-Lexikon – Infoportal rund ums Stillen: Vorteile des längeren Stillens – eine Argumentationshilfe., abgerufen am 09.03.2023
- Still-Lexikon – Infoportal rund ums Stillen: https://www.still-lexikon.de/stillen-senkt-krankheitshaeufigkeit-und-sterblichkeit-auch-bei-muettern/, abgerufen am 09.03.2023
- kinder-verstehen.de: Langzeitstillen: Wo ist das Problem?, abgerufen am 09.03.2023
- stillkinder.de: Häufige Fragen zum Langzeitstillen (1), abgerufen am 09.03.2023
- stillkinder.de: Väter, Ihr seid die wichtigsten Unterstützer, abgerufen am 09.03.2023
- Regine Gresens (2016) Intuitives Stillen. Kösel-Verlag, München, 1. Auflage.
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