Bedürfnisorientiert zu erziehen, bedeutet nicht, dass du deinem Kind jeden Wunsch von den Lippen abliest.
Vielmehr steht die Bindung zwischen Eltern und dem Nachwuchs im Vordergrund.
Warum Eltern die bedürfnisorientierte Erziehung heute oftmals nicht mehr im Sinne des Erfinders praktizieren und wie du die Bedürfnisse eines Kindes erkennst – all das erklären wir dir heute.
Bedürfnisorientierte Erziehung: Das Wichtigste in Kürze
- Die bedürfnisorientierte Erziehung kann die Bindung zwischen Eltern und Kindern stärken.
- Der pädagogische Ansatz geht auf William Sears und seine Ehefrau Martha Sears zurück.
- Das Ehepaar entwickelte 7 Säulen, die zur bedürfnisorientierten Erziehung beitragen.
- Attachment Parenting heißt nicht, einem Kind jeden Wunsch zu erfüllen.
- Eltern hinterfragen bei der bindungsorientierten Erziehung die Bedürfnisse ihres Kindes und lernen es so besser kennen.
Was ist bedürfnisorientierte Erziehung?
Du interessierst dich für bedürfnisorientierten Erziehung (Attachment Parenting)? Dann lass uns gemeinsam einen Blick in die Vergangenheit werfen.
Der US-amerikanische Kinderarzt William Sears und seine Ehefrau Martha Sears prägten den bedürfnisorientierten Ansatz ganz wesentlich.
Sie entwickelten die Grundidee, dass eine starke Bindung, die sich in den ersten Kinderjahren aufbaut, auch eine optimale Basis für die spätere Beziehung zwischen Eltern und Nachwuchs darstellt. Eine starke Bindung kann wiederum dazu beitragen, Familienkonflikten vorzubeugen.
Doch wie genau gelingt es, eine starke Bindung aufzubauen? Genau an dieser Stelle kommt die bedürfnisorientierte Elternschaft ins Spiel.
Bereits die Sears plädierten dafür, dass Eltern dazu mehr auf die Bedürfnisse von Babys und Kleinkindern eingehen – vor allem körperliche Nähe, Verständnis und Geborgenheit sind dabei wichtig.
So funktioniert Attachment Parenting
Der Begriff „Attachment Parenting“ oder „bedürfnisorientierte Erziehung“ begegnet uns oft, doch weißt du genau, wie du den Ansatz praktizierst? Die Sears haben zum besseren Verständnis sieben B’s (Säulen) für das Attachment Parenting entwickelt.
Dazu zählen:
1. Birth Bonding (Bindung bei der Geburt):
- Bei der Geburt selbst, aber auch in den Tagen und Wochen danach, legst du einen wichtigen Grundstein für die spätere Bindung. Hier begegnet der nach Bindung suchende Säugling dem intuitiven und fürsorglichen Verhalten der Mutter.
2. Breastfeeding (Stillen):
- Das Stillen ist nicht nur ein cleverer Schachzug von Mutter Natur, um den Säugling zu ernähren. Wer stillt, übt sich auch im „Babylesen“.
- Anfangs ist es für dich vielleicht eine Herausforderung, die Signale deines Babys, beispielsweise die Körpersprache, zu deuten. Nach und nach verstehst du aber immer besser, wie geballte Fäustchen oder ein Wegdrehen des Kopfes auf Hunger bzw. auf ein Sättigungsgefühl hindeuten können.
- Übrigens: Während des Stillvorgangs schüttet der weibliche Körper Oxytocin aus – das Kuschelhormon stärkt die Bindung zu deinem Kind.
3. Babywearing (Tragen):
- Wenn du dein Baby trägst, kann es seine Umwelt entdecken und fühlt sich gleichzeitig geborgen. Bei dir verbessert sich die Sensibilität, also dein Gespür dafür, wie dein Säugling auf die Umwelt reagiert und was es benötigt.
- Außerdem baut sich durch die Nähe eine enge Vertrautheit zwischen euch auf.
4. Bedsharing (Gemeinsam Schlafen):
- Es ist dunkel und es ist ruhig – das kann Babys verunsichern, vor allem wenn sie alleine in ihrem Bettchen schlafen.
- Mit dem Co-Sleeping, also dem Schlaf in unmittelbarer Nähe zueinander, können Eltern darauf Rücksicht nehmen und die Trennungsangst reduzieren. Das Kind lernt so, dass die Nacht oder der Schlaf kein Grund zum Fürchten ist.
5. Believe in Baby’s cries (die Signalwirkung des Schreiens):
- Babys schreien, weil sie nur so auf ihre Bedürfnisse aufmerksam machen können. Wenn du einfühlsam auf die Schreie deines Kindes eingehst, legst du den Grundstein für Vertrauen.
- Behalte stets im Hinterkopf: Säuglinge weinen nicht, um irgendetwas zu bekommen, sondern um zu kommunizieren.
6. Beware of Babytrainers (Achtung vor Schlafprogrammen und Co.):
- Als Elternteil weißt du meist intuitiv, was dein Baby benötigt. Es ist aber völlig verständlich, dass du dich zunächst in die Rolle der Mutter oder des Vaters eingewöhnen musst.
- Wenn du dein Kind aufmerksam beobachtest, findest du schnell heraus, welche Bedürfnisse es hat.
- Programme oder Ratschläge, mit denen du deinen Säugling nach einer Art Zeitplan versorgst, sind nicht förderlich. Sie können eine Kluft zwischen dir und deinem Kind schaffen und verhindern, dass du mehr über die Bedürfnisse deines Nachwuchses herausfindest.
7. Balance and Boundaries (Gleichgewicht der Familienbedürfnisse und Beachtung eigener Grenzen):
- Ein Baby verändert deinen gesamten Alltag – nun musst du deine eigenen Bedürfnisse ein Stück weit zurückstellen, um die deines Kindes zu erfüllen.
- Das bedeutet aber nicht, dass du deine Grenzen dauerhaft überschreiten solltest. Mit der Zeit erlernst du, wie du das Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen aller Familienmitglieder schaffst.
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Bedürfnisorientierte Erziehung im Kindergartenalter
Dir ist bestimmt aufgefallen, dass die sieben Säulen der bedürfnisorientierten Erziehung vor allem auf Säuglinge und Babys gemünzt sind. Das bedeutet aber nicht, dass die Bedürfnisse eines Kindes später nicht mehr zählen – sie verändern sich lediglich und du erhältst weitere Möglichkeiten, um damit umzugehen.
Ein Baby hat dringende Bedürfnisse, zum Beispiel nach Nahrung, Schlaf und Zuwendung. All diese Bedürfnisse verlangen nach einer sofortigen Erfüllung.
Bei Kleinkindern treten, neben Bedürfnissen, auch Wünsche in den Vordergrund.
Diese Unterscheidung ist sehr wichtig, denn ein Wunsch kann erfüllt werden, muss aber nicht. Ein Bedürfnis hingegen verdient stets deine Aufmerksamkeit.
Attachment Parenting Beispiele: Wunsch oder Bedürfnis?
„Anton wirft sich im Supermarkt auf den Boden, er strampelt mit Armen und Beinen. Er wünscht sich unbedingt den regenbogenfarbenen Lolli ganz oben im Regal.“
Bei diesem Beispiel äußert Anton einen Wunsch. Reagiert auch dein Kindergartenkind manchmal so? Nur keine Sorge, diese Szenen spielen sich regelmäßig im Einkaufsladen ab.
Du kannst deinem Kind in dem Fall ruhig erklären, warum der Lolli jetzt nicht im Einkaufskorb landet:
„Schau mal Anton, wir haben eine Einkaufsliste, und der Lolli steht heute nicht darauf. Ich sehe gerade, dass wir noch Obst brauchen, hilfst du mir mit aussuchen?“
Allerdings gibt es auch Bedürfnisse, die sich in einem Wunsch verstecken.
„Maja kommt nach dem Kindergarten nach Hause und möchte Fernsehen gucken. Als ihre Mutter sagt, dass es nun erst einmal Vesper gibt, bricht Maja in Tränen aus.“
Natürlich ist es denkbar, dass Maja einfach nur ihre Lieblingssendung sehen möchte. Womöglich ist sie nach dem Kindergarten aber müde und sehnt sich nach Ruhe und Geborgenheit – hier kann also das Bedürfnis nach Nähe dahinterstecken.
Um herauszufinden, ob es sich um einen Wunsch oder ein Bedürfnis handelt, kann die Mutter Maja eine Kuscheleinheit anbieten.
Die Bedürfnis-Checkliste: so gehst du Bedürfnissen auf die Spur
Die Bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung hat einen tollen Nebeneffekt: Du lernst dein Kind ganz genau kennen. Auf dem Weg dahin begegnen dir aber so manche Stolpersteine. Manchmal gleicht die Erforschung der Bedürfnisse eher einer Detektivarbeit.
Unsere Checkliste begleitet dich im Alltag und gibt dir wichtige Hinweise:
Die Erfahrungen aus der bindungsorientierten Erziehung zeigen, wie wichtig es ist, zu hinterfragen, ob Bedürfnisse bei dem jeweiligen Verhalten eine Rolle spielen.
Welches Bedürfnis steckt dahinter? Das ist die zentrale Frage, die eng mit dem Attachment Parenting verknüpft ist.
Nachteile einer falsch verstandenen Pädagogik
Studien machen deutlich, dass der Ansatz der bedürfnisorientierten Erziehung die Bindung zwischen Eltern und Kind unterstützen kann.
Tatsächlich polarisiert die bedürfnisorientierte Erziehung aber stark. Das liegt daran, dass sie in vielen Kinderstuben nicht im Sinne der Sears gelebt wird.
Einige Eltern verwechseln Attachment Parenting mit einer Erziehung ohne Regeln, bei der es nur um die Bedürfnisse des Kindes geht.
Wenn du dir das siebte „B“ in der Liste ganz zu Anfang noch einmal ansiehst, findest du da den Vermerk „Balance and Boundaries“. Bei der bedürfnisorientierten Erziehung zählen also die Bedürfnisse aller Familienmitglieder, nicht nur die des Kindes.
Die bedürfnisorientierte Erziehung bedeutet auch nicht, dass es keine Grenzen gibt.
Vielmehr geht es darum, die Bedürfnisse hinter dem Verhalten zu erfragen und zu prüfen, wie sie erfüllt werden können.
Wünsche sollten Eltern dabei ganz klar von Bedürfnissen unterscheiden.
Eine völlige Selbstaufgabe, wie manche Eltern sie im Glauben der bedürfnisorientierten Erziehung praktizieren, ist ein unnötiger Nachteil.
Bücher für die bedürfnisorientierte Erziehung
An dieser Stelle möchte ich dir einige Tipps für geeignete Lektüre geben. Am besten findest du selbst heraus, welches Buch für die bedürfnisorientierte Erziehung zu dir passt.
- Piper Verlag GmbH
- Wild Child: Entwicklung verstehen, Kleinkinder gelassen erziehen, Konflikte liebevoll lösen Der Erziehungsratgeber zu Attachment Parenting
- ABIS-BUCH
- Silber
- Sears, William, Martha Sears, Blavustyak, Bianka (2012): Das Attachment Parenting Buch: Babys pflegen und verstehen
- Ask DrSears: Attachment Parenting Babies, abgerufen am 12.09.2022
- Europäisches Institut für Stillen und Laktation: Bindung und Stillen, abgerufen am 12.09.2022
- Antje Kräuter: Bindungsförderung durch Stillen, abgerufen am 12.09.2022
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