Wenn es um ADHS geht, also das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom, dann haben die meisten Menschen ein klares Bild vor Augen: Zappelphillip, Hans-guck-in-die-Luft oder Störenfriede. Doch damit wird die Erkrankung nicht nur auf wenige Aspekte reduziert, vielmehr erhält sie auch eindeutig eine Geschlechtszuweisung – es geht bei ADHS also um unruhige, unkonzentrierte und extrovertierte Jungen.
Dabei leiden Studien zufolge aber etwa genauso viele Mädchen an ADHS. Doch in der Gesellschaft bleibt dies meist unerkannt. Und das hat Folgen. Wenn Mädchen eine umfassende Diagnostik verwehrt wird, erhalten sie auch weniger Unterstützung, was wiederum ihre Probleme verstärkt – ein Teufelskreis entsteht.
Aus diesem Grund behandelt dieser Beitrag das Thema „ADHS bei Mädchen“, um auf die Symptome und Probleme der Betroffenen aufmerksam zu machen und die Chancen bei einer frühzeitigen Behandlung darzulegen.
ADHS bei Mädchen – Das Wichtigste in Kürze
- Nur etwa 1 von 7 kindlichen ADHS-Diagnosen wird an ein Mädchen vergeben.
- Dabei ist die Morbidität im Erwachsenenalter aber homogen verteilt (3 von 7).
- Doch wie bei Jungen auch, ist ADHS bei Mädchen eine angeborene Erkrankung, die schon in frühen Jahren therapiert werden sollte.
- Mädchen mit ADHS zeigen ähnliche Symptome wie Jungen, oft jedoch ohne die ausgeprägte Hyperaktivität.
- Eine umfassende ADHS-Diagnostik bei weiblichen Erkrankten erfolgt aber meist erst nach dem Auftreten anderer Störungen im Jugend- oder Erwachsenenalter.
- Es gibt viele Behandlungsformen, die für Jungen wie Mädchen geeignet sind und die die Auftretenswahrscheinlichkeit von Begleit- und Folgeerkrankungen verringern.
ADHS – eine weltweite Erkrankung
- ADHS ist eine Erkrankung, welche zu den „psychischen Störungen“ zählt.
- Die Ursachen sind bis heute nicht eindeutig geklärt.
- Forscher gehen jedoch davon aus, dass eine genetische Prädisposition dazu beiträgt, dass sich neuronale Strukturen im Gehirn etwas anders ausprägen als bei den meisten Menschen.
- Dies hat Auswirkungen auf diverse Körperfunktionen.
- ADHS ist also angeboren, es wird nicht durch mütterliche Erkrankungen während der Schwangerschaft, falsche Erziehung, zuckerlastige Ernährung oder übermäßigen Medienkonsum hervorgerufen.
- Allerdings können diese Faktoren die Symptome der Erkrankung verstärken.
- ADHS ist nicht selten.
- Etwas mehr als 5 % aller Menschen weltweit haben diese Erkrankung.
- Das bedeutet, durchschnittlich in jeder Schulklasse ist mind. 1 Kind mit ADHS.
- Bei den meisten zeigen sich bereits vor Kindergarteneintritt die ersten Auffälligkeiten.
- Doch was sind typische Symptome von Kindern mit ADHS?
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ADHS – klassische Symptome bei Kindern
Wie der Name bereits sagt, leiden die Betroffenen unter einem Aufmerksamkeitsdefizit. Das bedeutet, sie können ihren Fokus nur sehr schwer auf ein Thema lenken und andere Reize für einen bestimmten Zeitraum ignorieren.
Die 9-jährige Rebecca macht häufig Fehler, beim Schreiben, beim Lesen oder beim Rechnen. Aber auch beim Erzählen, dann fügt sie einfach plötzlich zusammenhanglose Sätze aneinander, sodass niemand ihr mehr folgen kann.
Auch bei ganz einfachen Dingen wie Schultasche zusammenpacken macht Rebecca Fehler, sie hat deshalb meist haufenweise lose Blätter, ungespitzte Stifte und Fundstücke vom Schulweg darin. Sie lässt sich von all den Reizen im Klassenzimmer so stark ablenken, dass sie körperlich unruhig wird oder sie ihre Überforderung durch permanentes Reden zeigt.
Ist sie mit ihren Freundinnen zusammen, fällt es ihr auch schwer, klar zu denken und alle Ideen im Kopf zu ordnen. Wollen die Mädchen etwas zusammen spielen, kann Rebecca keine Entscheidungen treffen, weil sie unfähig ist, zu priorisieren.
- Dabei möchte sie doch einfach so cool sein wie die anderen.
Im Wort „ADHS“ steckt zudem auch der Begriff „Hyperaktivität“. Hyperaktivität ist mit „übermäßigem Bewegungsdrang“ oder „großer Unruhe“ zu übersetzen. Menschen sind in verschiedensten Situationen hyperaktiv, zum Beispiel wenn sie aufgeregt sind oder Angst haben.
Doch bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS ist die Hyperaktivität eigentlich immer präsent. Sie können diese auch nicht kontrollieren wie andere Menschen, weshalb es häufig zu Konflikten im Alltag oder in der Schule kommt.
Iris (12 Jahre) kann manchmal nicht still sitzen und läuft dann umher oder zappelt mit den Beinen. Sie hat das Gefühl, permanent „unter Strom“ zu stehen, vor allem wenn sie warten muss. Dann kann es schon einmal vorkommen, dass sie stört, andere beim Reden unterbricht, sich vordrängelt oder laut durch die Gegend ruft.
Die innere Unruhe führt dazu, dass Iris auch verschiedene Angewohnheiten wie Fingertrommeln, Lippenkauen oder Stuhlkippeln hat. Außerdem fühlt sich das Mädchen sehr unwohl, wenn eine ruhige Situation bevorsteht. Dann beginnt sie zu schwitzen, hat Herzklopfen oder bekommt Bauchkrämpfe – aus Angst, im entscheidenden Moment dann nicht ruhig genug sein zu können.
- Wenn sie nur mehr Kontrolle hätte, doch seit kurzem entgleitet ihr das Leben.
Neben dem Aufmerksamkeitsdefizit und der Hyperaktivität ist auch die eingeschränkte Impulskontrolle ein wesentliches Merkmal von ADHS.
Ein Impuls ist der Drang, zu handeln. Er folgt direkt auf ein Gefühl oder einen Gedanken und resultiert in einer Tat. Als Impulskontrolle wird die Fähigkeit bezeichnet, diesen Drang unterdrücken zu können. Ziel ist es, vorher über die Konsequenzen der Tat nachzudenken.
Sowohl im Alltag als auch in der Schule gibt es zahlreiche Situationen, in denen Kinder zuerst denken und dann handeln sollten:
… Für ein Kind mit ADHS ist das eine echte Herausforderung.
Jonas (7 Jahre) hat ADHS und leidet darunter. Oft gibt er vorschnell einen Kommentar ab, der andere verletzt. Wenn ihm eine Aufgabe oder ein Auftrag nicht gefällt, dann verweigert er sich manchmal komplett. Jonas ruft ständig im Unterricht dazwischen und stört so.
Seine geringe Impulskontrolle führt manchmal auch dazu, dass er Türen knallt, seine Mitmenschen schlimm beschimpft, Gegenstände zerstört oder sogar andere verletzt.
- Er versucht sich zusammenzureißen, doch es will einfach nicht funktionieren.
ADHS bei Mädchen – gleiche Erkrankung, andere Symptome?
Beim ADHS werden 3 Typen unterschieden:
- der unaufmerksame Typ (Fokus: Aufmerksamkeitsdefizit)
- der hyperaktiv-impulsive Typ (Fokus: Hyperaktivität und mangelnde Impulskontrolle)
- der Mischtyp
Während mehr als 70 % aller Jungen dem hyperaktiv-impulsiven Typ zugeordnet werden können, gehören die meisten Mädchen zum unaufmerksamen Typ. Weil ihre Symptome weniger nach außen getragen werden, gehen sie deshalb oft unter.
Doch nur weil Jungen lauter, aggressiver, fordernder und extrovertierter sind, bedeutet das nicht, dass sie mehr Probleme im Alltag und in der Schule haben und deshalb mehr Unterstützung benötigen.
Vielmehr ist es so, dass ADHS bei Mädchen Symptome wie …
… verursachen.
Dadurch fallen die Betroffenen den Eltern, Lehrern und Lehrerinnen sowie anderen Fachkräften zwar weniger ins Auge, aber sie benötigen genau die gleiche Hilfe wie Jungen.
Wie erkennt man ADHS bei Mädchen?
- Mädchen mit ADHS fallen in jungen Jahren häufig gar nicht negativ auf, immerhin spielen sie ruhig, zeigen kein provokantes oder oppositionelles Verhalten und zappeln auch nicht permanent.
- Deshalb werden sie in ihrem vermeintlich „braven“ Tun bestätigt.
- Um auch während der Schulzeit angepasst zu bleiben, entwickeln viele Betroffene dann effektive Vermeidungs- und Kompensationsstrategien.
- Diese maskieren jedoch nur die Symptomatik, denn Mädchen mit ADHS müssen enorme Leistungen erbringen, um die Anforderungen des Lebens meistern zu können.
- Durch zunehmende Belastungen in höheren Schulen, hormonelle Schwankungen während der Pubertät und andere Probleme beginnt ein Teufelskreis von mentaler Labilität und körperlicher Erschöpfung.
- Nicht selten endet ein nicht behandeltes ADHS bei Mädchen dann in Depressionen, Angststörungen, Borderline-Störung, Sucht oder Essstörung.
- Diese sogenannten „Ko-Morbiditäten“ sind meist der Grund für eine psychiatrische Abklärung.
- Leider wird die Diagnose ADHS auch erst dann erstmalig gestellt und behandelt.
- Diverse Begleit- und Folgeerkrankungen ließen sich jedoch oftmals vermeiden, wenn die zugrundeliegende Erkrankung rechtzeitig erkannt wird.
Welche Behandlungen eignen sich für Mädchen mit ADHS?
Fazit
- ADHS ist eine sehr komplexe Erkrankung, die viele Gesichter hat.
- Doch während die meisten Jungen ein eher extrovertiertes Verhalten an den Tag legen und damit schneller Hilfe erhalten, bleibt der Leidensdruck bei Mädchen mit ADHS oftmals lange unsichtbar, weil sie introvertierter sind.
- Doch um allen Kindern zu helfen, bedarf es einer umfassenden Aufklärung.
- ADHS ist eine Störung, die ab der Geburt besteht und ein Leben lang bleibt.
- Sie betrifft Jungen wie Mädchen gleichermaßen und führt zu Problemen im Alltag, in der Schule und in der Freizeit.
- Doch neben vielen Schwierigkeiten haben die Betroffenen auch diverse Stärken, Ressourcen und Potentiale.
- Diese einfach zu verschwenden, käme einer Denunzierung gleich.
- Deshalb ist es wichtig zu wissen, dass ADHS sehr unterschiedliche Symptome zeigen kann und eine frühzeitige Diagnostik zu einer besseren Prognose führt.
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